Inters Interna

Die Nationalelf ist nach dem 2:0 gegen die Ukraine wieder im EM-Rennen, doch Italiens Fußball steckt weiterhin im Sumpf. Neu im Morast: Inter Mailand, das vom Opfer zum Täter zu werden droht

Da bleibt etwas am Club hängen, auch wenn Skandale gern nach dem Motto „Così fan tutte“ abgehandelt werden

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Gerade die älteren Fußballkommentatoren Italiens fühlten sich dieses Jahr laufend an die Vergangenheit erinnert. Erst ein dicker Skandal, und dann der triumphale Gewinn der WM – das hatten die Italiener nicht nur 2006, das gab es auch schon 1982. Gerade in den letzten Wochen wurde in Italien eine dritte mögliche Parallele mit Schrecken skizziert: 1982 scheiterten die Azzurri gleich nach dem WM-Gewinn in der Europameisterschaftsqualifikation, Am Samstag, im Oktober 2006, gegen die Ukraine ging es schon wieder um die Wurst, denn aus den ersten zwei Qualifikationsspielen hatte Italien gerade mal einen Punkt mitgebracht. Eine erneute Niederlage – und für die Sieger von Berlin hätte das EM-Aus praktisch festgestanden. In der ersten Stunde sah es ganz so aus, als habe Italien tatsächlich keine Lust, zur EM zu fahren; trostloses Gestochere deprimierte die Zuschauer im Olympiastadion von Rom. Wenn am Ende der Partie die La Ola über die Ränge ging, dann lag es gewiss nicht an der Schönheit des Spiels, sondern bloß an den in der zweiten Halbzeit gefallenen zwei Toren, die Italien erst mal Luft verschaffen.

Nach dem Spiel kann sich Italien nun wieder den ziemlich unsportlichen Aspekten beim Nationalsport Nummer eins zuwenden – und sich fragen, ob die vermeintlichen Opfer des Mega-Skandals vom letzten Sommer nicht auch Dreck am Stecken haben. Zur Erinnerung: Inter Mailand, der scheinbar unbefleckte Spitzenclub, hatte nach der Abstrafung von Juventus Turin, AC Mailand, Lazio Rom und AC Florenz am grünen Tisch die Meisterschaft 2006 zuerkannt bekommen. Nun aber ist ausgerechnet Inter im Zentrum neuer Enthüllungen.

Anders als den vor wenigen Monaten verurteilten Clubs wird Inter nicht vorgeworfen, systematisch durch die gezielte Auswahl von Schieds- und Linienrichtern den Ausgang von Meisterschaftsspielen manipuliert zu haben; an dem „System Moggi“ – benannt nach dem Juve-Manager Luciano Moggi, der das Manipulationskarussell aufgezogen haben soll – war der Mailänder Traditions-Club offenkundig nicht beteiligt; die zehntausenden Seiten Abhörprotokolle der Staatsanwaltschaft Turin liefern dafür jedenfalls kein Indiz.

Schatten auf Inter wirft dafür jener neue Skandal, der seit knapp drei Wochen Italien beschäftigt: die Bespitzelungs- und Abhöraffäre rund um Telecom Italia. Der Sicherheitschef des Telefonriesen, Giuliano Tavaroli, soll nicht nur tausende Mitarbeiter der Telecom und des Reifenunternehmen Pirelli überwacht haben, sondern auch zahlreiche Manager, Politiker, Journalisten und Fußballer ausgeforscht haben. Partner Tavarolis war dabei der Chef der Privatdetektei „Polis d’istinto“, Emanuele Cipriani. Ebendiese beiden Herren, die mittlerweile in Haft sitzen, sollen auch für den Inter-Eigner und Erdöl-Industriellen Massimo Moratti tätig gewesen sein.

Die Kommunikationswege waren auf jeden Fall kurz: Moratti sitzt im Telecom-Verwaltungsrat, die Telecom ist ihrerseits an Inter beteiligt, und der Telecom-Vizepräsident Carlo Buora ist zugleich Vizepräsident von Inter.

Zugegeben hat Moratti bereits, dass er den Spieler Christian Vieri – er stürmte in den Jahren 1999 bis 2005 für Inter – von Ciprianis „Polis d’istinto“ beschatten ließ. Den Auftrag, so Moratti, habe er 2001 erteilt, weil der schweineteure Vieri äußerst mäßige Leistungen abgeliefert habe. Moratti, der letzte Woche zu einer zweistündigen Vernehmung beim Chefermittler des Fußballverbandes, Francesco Saverio Borrelli, erschien, stritt aber ab, jemals illegale Telefon-Abhöraktionen gegen den Spieler in Auftrag gegeben zu haben.

Erst recht leugnete Moratti, etwas mit Abhöraktionen gegen den Schiedsrichter Massimo De Santis zu tun zu haben. De Santis war als einer der Haupttäter bei der Verschiebung der italienischen Meisterschaften zu Gunsten von Juventus im Sommer mit einer vierjährigen Sperre belegt und von der WM in Deutschland, für die er nominiert war, ausgeschlossen worden.

Vergangene Woche berichteten italienische Medien, der Schiedsrichter sei vor drei Jahren von der Telecom-Gang unter Sicherheitschef Tavaroli belauscht worden, im Auftrag von Inter Mailand. Und De Santis nutzte die Gelegenheit sofort, um sich von der Täterrolle in die wesentlich bequemere Opferrolle zu begeben: Einfach „angewidert“ sei er, gab er in einem Interview bekannt. Massimo Moratti dagegen behauptet steif und fest, er habe zwar De Santis im Verdacht gehabt, Juve bevorzugt und Inter geschadet zu haben. Doch mit einer Beschattung des Schiedsrichters habe Inter „nichts zu schaffen“ gehabt. Moratti hat nun die lustige Version zu bieten, er habe Telecom-Sicherheitschef Tavaroli bloß „um einen Rat gefragt“ – und Tavaroli muss dann wohl was missverstanden haben.

Da bleibt natürlich etwas am Club und an Moratti hängen, auch wenn Skandale in Italien gern nach dem Motto „Così fan tutte“ (Es machen doch alle so!) abgehandelt werden. Moratti selbst hatte Ende August, vor Ausbruch der Telecom-Affäre, in einem Zeitungsinterview gesagt, der Verein habe De Santis kontrollieren, aber nicht beschatten lassen. Auf die Frage, wieso er nicht einfach zum Staatsanwalt gegangen sei, nachdem ein anderer Schiedsrichter, Danilo Nucini, ihm De Santis’ und Moggis Machenschaften erklärt habe, hatte Moratti allerdings eine plausible Antwort: Schon jener gesprächige Schiedsrichter habe ja seinerzeit bei einer staatsanwaltlichen Vernehmung plötzlich wieder die Sprache verloren, und ohne jenen Zeugen habe er als Inter-Präsident doch fürchten müssen, ihm sei eine Falle gestellt worden. Stattdessen war auch Moratti lieber in einer rechtlichen Grauzone unterwegs, allerdings ohne jedes greifbare Ergebnis, das Moggi und De Santis das Leben hätte schwer machen können.